eVTOL Flugregelung

Steuerung und Regelung von Flugtaxis

CityAirbus der Firma Airbus Helicopters bei einem Testflug am Standort Manching

Motivation

Das für kleine Drohnen beliebte Multikopter-Konzept wird in den letzten Jahren intensiv auch für größere Fluggeräte zum Einsatz im Personentransport verfolgt, zum Beispiel in der Anwendung als Lufttaxi. Dabei beschränken sich die Konzepte nicht nur auf die reine Multikopter-Konfiguration, sondern integrieren auch weitere Elemente wie Tragflächen oder Kippmechanismen (Tiltrotor). Allen Konzepten gemein ist die Fähigkeit zum senkrechten Starten und Landen, die sogenannte VTOL-Eigenschaft (Vertical Takeoff and Landing). Aufgrund dieser Eigenschaft ist der Bedarf an physischer Infrastruktur wie zum Beispiel Start- und Landeflächen sehr gering. Solche Fluggeräte gelten daher als vielversprechende Lösung um einen Teil des steigenden Transportbedarfs in urbanen Ballungsräumen (Urban Air Mobility) zu decken.

Diese neuen VTOL-Konzepte nutzen dabei das Prinzip der verteilten Antriebe und erzeugen Auf- und Vortrieb mit mindestens vier, in der Regel aber meist mehr Propellern. Durch diese Redundanz kann die Sicherheit gegenüber dem Ausfall einzelner Antriebe erhöht werden und die Fluggeräte lassen sich weiterhin problemlos steuern. Um die einzelnen Antriebe möglichst ohne komplexe Mechanik antreiben zu können und die (Lärm-)Emissionen der Fluggeräte gering zu halten setzen die meisten Konzepte auf Elektromotoren. Solche elektrisch angetriebenen VTOL-Fluggeräte werden in abgekürzter Form als eVTOL bezeichnet.

Aufgrund der speziellen Konfigurationen und Anwendungsgebiete von eVTOL-Fluggeräte ergeben sich aus flugmechanischer und regelungstechnischer Sicht zahlreiche neuartige Anforderungen und Möglichkeiten, welche als Ausgangspunkt für entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen dienen.

Forschungsaktivitäten

Das Institut für Flugmechanik und Flugregelung ist in unterschiedliche Projekte im Rahmen der Urban Air Mobility mit international führenden eVTOL-Entwicklern involviert und beteiligt sich an der Entwicklung der notwendigen Flugsteuerungsalgorithmen um einen sicheren und automatisierten Flug solcher Fluggeräte zu ermöglichen. Diese Algorithmen werden sowohl auf Modellen im kleineren Maßstab als auch auf Prototypen mit einem Abfluggewicht von mehreren Hundert Kilogramm erprobt.

So kooperierte das iFR beispielsweise mit der Firma Volocopter bei der Entwicklung der Flugsteuerung für die Fluggeräte VC200 und 2X. Das iFR lieferte hierbei die maßgeblichen  Regelungsalgorithmen, welche das Fluggerät stabilisieren und die vom Piloten per Steuerknüppel vorgegebenen Kommandos für die Fluglage und -höhe umsetzen. Darüber hinaus wurde am iFR ein Verfahren entwickelt, das für eine effiziente Ansteuerung der 18 redundanten Elektromotoren sorgt. Hierdurch wird beispielsweise sichergestellt, dass alle Batterien des Fluggeräts gleichmäßig entladen werden und kein elektrisches Ungleichgewicht entsteht. Die Algorithmen des iFR wurden erfolgreich in zahlreichen Flügen getestet und waren unter anderem beim öffentlichen Flug des Volocoptes in Stuttgart im September 2019 im Einsatz.

Zusammen mit der Firma Airbus Helicopters entwickelte das iFR die Software des Automatic Flight Control System (AFCS) für den CityAirbus Demonstrator, welcher eine Abflugmasse von über 2 Tonnen besitzt. Die Arbeit an den Flugregelungsalgorithmen umfasste dabei sowohl die grundlegende Basisstabilisierung (Lageregelung) des CityAirbus als auch die darauf aufbauenden automatischen Modi. Diese Modi erlauben eine für den Piloten komfortable Steuerung, da dieser per Steuerknüppel Geschwindigkeiten vorgeben kann und die dafür notwendige Fluglage automatisch vom AFCS eingeregelt wird. Lässt der Pilot den Steuerknüppel los, sorgen die Algorithmen dafür, dass der CityAirbus seine erreichte Position und Höhe beibehält und Störungen wie z.B. durch Windböen zuverlässig unterdrückt werden. Insbesondere erlauben es die vom iFR entwickelten automatischen Modi auch, dass der CityAirbus auf Knopfdruck selbstständig startet und landet (ATOL). Darüber hinaus wurden verschiedene Verfahren und Lösungen implementiert, um in Fehlerfällen (z.B. Verlust des Datenlinks zur Bodenstation) ohne Eingreifen des Piloten automatisch die notwendigen Korrekturmaßnahmen einzuleiten und einen sicheren Weiterbetrieb, bzw. eine sichere Landung zu gewährleisten. Bei zahlreichen Testflügen sowohl am Airbus Standort Donauwörth als auch im Drone Center Manching wurde das entwickelte AFCS inklusive automatischen Starts und Landungen erfolgreich getestet. Im Juli 2021 wurde das Projekt mit dem letzten Flug des CityAirbus Demonstrators abgeschlossen.

Viele eVTOL-Konzepte sehen vor, dass sich die Fluggeräte ganz ohne Piloten an Bord aber auch ohne eine dauerhafte Remote-Steuerung durch einen Piloten betreiben lassen. Die für einen solchen Autonomiegrad notwendigen Algorithmen werden ebenfalls am iFR untersucht und entwickelt. Vom iFR entwickelte Algorithmen ermöglichen es einem eVTOL-Fluggerät beispielsweise eigenständig einer Trajektorie (dreidimensionale Bahn mit vorgegebenem zeitlichem Ablauf) zu folgen.

Um die notwendige Qualität und Sicherheit im Entwicklungsprozess der Algorithmen mithilfe entsprechender Validierungs- und Verifikationsmaßnahmen sicherzustellen, nutzt das Institut für Flugmechanik und Flugregelung unter anderem die Empfehlungen von etablierten Luftfahrtstandards wie ARP4754A und RTCA DO-178C.

Ziele

Ziel der Aktivitäten am Institut für Flugmechanik und Flugregelung im Bereich eVTOL sind die Entwicklung und Erprobung von

  • Verfahren um redundante elektrische Antriebe möglichst effizient unter Ausnutzung der gegebenen Freiheitsgrade anzusteuern und dabei sekundäre Zielsetzungen zu berücksichtigen (z.B. gleichmäßige Entladung der Batterien).
  • Flugsteuerungsalgorithmen und Assistenzsystemen die es auch Personen ohne umfangreiche Pilotenausbildung ermöglichen ein eVTOL-Fluggerät intuitiv und einfach zu steuern. Dabei sollen alle notwendigen Sicherheitsaspekte automatisch eingehalten werden sowie das Fluggefühl der Passagiere (Comfort of Ride) berücksichtigt werden.
  • Algorithmen die einen autonomen Flug von eVTOLs ohne Piloten ermöglichen (einschließlich Start und Landung).
  • Notfallverfahren die im Fall eines technischen Problems dafür sorgen, dass automatisch die notwendigen Korrekturmaßnahmen eingeleitet werden und eine sichere Rückkehr zu einem Landeplatz gewährleistet ist.

Publikationen

  • Welsch und W. Fichter, "Ground-Based Turn Coordination for VTOL Vehicles with Wind Compensation," in AIAA Scitech 2021 Forum, 2021
  • Stephan und W. Fichter, "Active Battery Charge Drift Stabilization for Redundant Multirotors," in AIAA Scitech 2020 Forum, Orlando, 2020
  • Welsch und W. Fichter, "Control of Large Multicopters with Rate-Limited Electric Motors," in AIAA Scitech 2020 Forum, Orlando, 2020
  • Stephan und W. Fichter, "Fast Exact Redistributed Pseudoinverse Method for Linear Actuation Systems," in IEEE Transactions on Control Systems Technology, 2017
Volocopter bei einem Demonstrationsflug über Stuttgart
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