Nachruf auf Prof. Dr.-Ing. Eveline Gottzein

January 3, 2024 /

 Eine realistische Visionärin, so kann man Eveline Gottzein treffend beschreiben. Sie
war aber auch vor allem ehrgeizig, hatte einen sehr starken Willen und war
außerordentlich zäh, das sagte sie auch von sich selbst. Aufgeben war nicht ihre
Sache. Diese Eigenschaften mussten wohl dazu geführt haben, dass über sie
bereits im Jahr 1966 ein Artikel im “Spiegel” veröffentlich wurde. Dort (Morlok,
Spiegel 04/1966, sehr lesenswert) wurde von dem Autor vorgeschlagen, dass die
dritte Stufe der Europa Rakete eigentlich den Namen “Eveline” verdient hätte. Dies
war ihr leider nicht vergönnt, aber dafür wurde ihr später der Werner-von-SiemensRing verliehen, u.a. für weltweit erstmalige Entwicklungen bei
Magnetschwebebahnen. Darüber hinaus erhielt sie das Bundesverdienstkreuz und
viele weitere, auch internationale Auszeichnungen. Das American Institute of
Aeronautics and Astronautics ernannte sie zum “Fellow”. Zu ihrem sechzigsten
Geburtstag hat kein geringerer als Ludwig Bölkow persönlich die Laudatio gehalten.
Ihre Hauptabteilung “Regelung und Simulation” war damals ein weltweit bekanntes
und beachtetes Zentrum im Bereich der Raumfahrttechnik und speziell der Bahn und Lageregelungssysteme.
Die oben genannten Charaktereigenschaften äußerten sich auch außerhalb
technisch-wissenschaftlicher Projekte. Im Jahr 1990 bestieg sie den Mont Blanc und
fuhr mit Skiern wieder ab. Bei der jährlichen “Guidance and Control Conference” in
Breckenridge mussten in den Vortragspausen stets die steilsten und buckeligsten
Pisten bezwungen werden.
Auch nach ihrer offiziellen Pensionierung Anfang der neunziger Jahre gab sie die
fachliche Arbeit nicht auf - ganz im Gegenteil. Sie initiierte und begleitete die
Entwicklung eines sehr innovativen raumfahrttauglichen GPS Empfängers, der bis
auf geostationäre Bahnhöhe ausgelegt war. Der sogenannte MosaicGPS Empfänger
wurde oftmals in niedrigen Erdumlaufbahnen eingesetzt und flog vor einigen Jahren
schließlich im geostationären Orbit.
Die Realisierbarkeit von Projekten stand bei Eveline immer ganz oben,
Phantastereien hatten keinen Platz. Auf der anderen Seite war sie neuen
Technologien und Forschungsarbeiten gegenüber stets sehr aufgeschlossen. Und
sie konnte beides miteinander verknüpfen und daraus ein strategisches Vorgehen
ableiten. In den achtziger Jahren wurde sie Lehrbeauftragte an der Universität
Stuttgart, später, im Jahr 1996 dann Honorarprofessorin. Diese Rolle hat sie
ausgeübt, bis es ihr aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich war. Bis
zuletzt war sie an den Entwicklungen der Universität Stuttgart immer sehr
interessiert.
Eveline war international gut vernetzt, wie man heute sagen würde. Meistens ging
dies über reine Zweckgemeinschaften hinaus. Sie pflegte freundschaftliche
Beziehungen zu vielen Kollegen aus der ganzen Welt, besonders nach USA und
Japan. Es schien fast eine Art Familie zu sein. Darunter waren viele interessante,
hochrangige Persönlichkeiten, beispielsweise Mitarbeiter der NASA, der ehemals
berühmt berüchtigten Lockheed Skunk Works und Ingenieurwissenschaftler des
legendären Gravity Probe B Satelliten.

 Trotz all ihrer Erfolge blieb sie immer auf dem Boden der Tatsachen, war niemals
überheblich. Sie interessierte sich mehr für Menschen als man es auf den ersten
Blick vermuten konnte, war tolerant und offen. Sobald man Ihren Humor erkannt hat,
konnte man ihn wirklich schätzen. Die Förderung junger Menschen lag ihr besonders
am Herzen.
An Heiligabend ist Eveline Gottzein gestorben. Sie wurde 92 Jahre alt. Vor ihrer
Leistung habe ich größte Hochachtung, persönlich bin ich ihr zu großem Dank
verpflichtet. Ich bin mir sicher, das ich nicht der einzige bin, der stets mit einem
inneren Lächeln an die schöne und erlebnisreiche Arbeit mit ihr denken wird.


Walter Fichter
Institut für Flugmechanik und Flugregelung, Universität Stuttgart
28. Dezember 2023

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